Corona war nicht ganz unschuldig, dass im Rahmen eines Webinars ein sehr dichtes Gespräch über die Digitalisierung der Arbeitswelt zustande kam. Der Themenbedarf war selbsterklärend, weil die Digitalisierung der Arbeit plötzlich zur erhofften aber auch befürchteten Realität in den unterschiedlichsten Facetten wurde.
Schließlich hatte der Corona bedingte Umzug ins Homeoffice dazu geführt, dass der digitale Schrittzähler der Freundin von der täglichen Durchschnittszahl 6.000 auf 800 Schritte sank.
Die 6.000 Schritte im Betrieb konnte ein anderer Teilnehmer eindrucksvoll erläutern: sein
Betrieb sei schon vor Corona „durchdigitalisiert“ worden und dabei. die Druckeranzahl von 500 auf 40 reduziert worden – für ihn im Betrieb ein langer Weg mit vielen Schritten, um einen Drucker zu finden. Zuhause sei das Arbeiten dagegen bei einem immer gut gefüllten Kühlschrank eher gemütlich geworden.
Natürlich war das aufgezwungene Homeoffice mehr ein digitales Arbeiten am Familien-PC im Wohnzimmer – von Office kann wahrlich nicht gesprochen werden. Glück hatte der/die Arbeitgeber*innen, deren Beschäftigten zuhause eine gute Ausstattung hatten. Pech hatten die Arbeitnehmer*innen, die hilflos vor geplünderten Regalen im Technikladen standen, weil die Webcams ausverkauft waren. Zumindest die Bankenbranche – so eine Teilnehmerin – hat es zügig hinbekommen, die Angestellten zuhause arbeiten zu lassen – die Großraumbüros machten diese Maßnahmen zwingend. Dies hat in Teilen aber so gut funktioniert, dass nun zu befürchten (?) ist, dass die verwaisten Bürotürme in unseren Städten auch nach der Pandemie leer bleiben.
„Gemütlich“ sei hier aber noch einmal deutlich in Frage gestellt. Durchgängig wird dem Gemütlichen zugeschrieben, zuhause auch mit größerer Konzentration arbeiten zu können – mit der fatalen Nebenwirkung, unterm Strich freiwillig länger zu arbeiten und auch die eingesparte Anreisezeiten zum Betrieb durch Mehrarbeit auszugleichen. Den ökologischen und zeitsparenden Effekt des Wegfalls der Anreise zur Arbeit mit ihren nerventötenden Staus und Verspätungen des ÖPNVs, ergänzten die Teilnehmenden um das anwachsende Problem, dass mit anwachsender Zeit die Sehnsucht nach den Kolleg*innen – auch die nervenden – größer wurde. Der Flurfunk am Kaffeeautomaten und der soziale Kontakt ist ein Produktivitätsfaktor, auch wenn manch ein/eine Arbeitgeber*in dies anders sehen mag. Viele
Arbeitgeber*innen haben gelernt, dass Arbeiternehmer*innen auch zuhause – ohne direkte Kontrolle oder Aufsicht – gut und produktiv arbeiten und Verantwortung für ihren Betrieb übernehmen.
In anderen Betrieben hatte die IT-Abteilung einen unfreiwilligen Anstoß erhalten, sich aufgerafft und die schon länger auch von Beschäftigten geforderte Digitalisierung vorangetrieben – und dabei auch gelernt. Nun finden Videokonferenzen mit ausländischen Partnern statt – ohne ständig mit dem Flugzeug die Welt bereisen zu müssen. „Es geht doch!“, so eine Teilnehmerin, die einen anderen sehr wichtigen Aspekt ins Spiel brachte. Die betrieblichen IT-Profis mit ihrem ausschließenden Wissen haben gelernt, z.B. beim Aufbau digitaler Lernplattformen, die Softwareentwicklung gemeinsam mit den Usern und deren Wissen und Erfahrungen zu betreiben – ein gutes Beispiel für die interdisziplinäre Zusammenarbeit in einem Betrieb.
Andere Betriebe – hier sei ein kommunaler Versorger benannt – waren krisenfest, weil die
Umsetzung Corona bedingter Schutzmaßnahmen auf bestehenden digitalen Plattformen und
Bildungswerk der KAB der Diözese Aachen https://kab-aachen.de/bildung/
Kontakt: Elisabeth Brack | elisabeth.brack@kab-aachen.de
Netzwerken ohne Probleme möglich war. VPN-Kanäle waren schnell eingerichtet; der Rest lief übers Firmenportal auf dem Smartphone oder altmodischen Mails. Zwei / drei Clicks reichten aus für die Urlaubsmeldung und den Stundennachweis.
Darüber konnte ein anderer Teilnehmer in seinem kleinen Betrieb mit acht Angestellten nur staunen. „Bring your own device“ heisst es in vielen dieser Betriebe, wenn das eigene Smartphone oder der Laptop vom Schwiegersohn für die „digitale Transformation“ herhalten mussten.
Deutlich wurde beim Webinar auch, dass für Einzelfragen keine endgültigen Antworten parat stehen. Sicher, die Digitalisierung ermöglicht eine totale Überwachung von Arbeitsprozessen und damit der Arbeitnehmer*innen; andererseits schafft sie ungeahnte Freiheitsräume und beinhaltet ökologische Aspekte. Homeoffice kann eine falsche Alternative auflösen. Schließlich stellt sich dann nicht die Frage, ob ein Elektroauto die Alternative zum Verbrenner ist. Die richtige Antwort heisst schließlich: kein Auto – was Homeoffice erst möglich macht.
Niemand der Teilnehmenden vertrat die Meinung, dass das Pandemie-Digital-Phänomen eine vorübergehende Einstellung des Arbeitens ist, welche auf Reset gestellt wird, sobald wir in Berührung mit dem „alten Alltag“ kommen. Die Zukunft hat begonnen!
Ob nun Homeoffice-Bildung qua Webinar die Alternative zum analogen Austausch ist, blieb am Schluss der Veranstaltung als Frage unbeantwortet.
Mai 2020
Andris Gulbins